Bild: © Michel Roggo / roggo.ch
Einzigartig und vielfältig – die Fischbiodiversität der Schweiz
Aufgrund zahlreicher Forschungsprojekte haben wir in den letzten Jahrzehnten viel dazugelernt über die Schweizer Fischbiodiversität. Dies führte einerseits zur wissenschaftlichen Beschreibung bereits bekannter Arten oder zur Entdeckung von neuen Arten, wie zum Beispiel bei den Felchen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass viele Arten heute verschwunden oder gefährdet sind. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Von Andrin Krähenbühl und David Frei
Der Begriff Biodiversität wird heute in unterschiedlichsten Zusammenhängen verwendet. Oft bleibt aber unklar, was damit genau gemeint ist. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es mehrere Ebenen von Vielfalt oder (Bio-)Diversität: angefangen bei Unterschieden zwischen einzelnen Erbgutvarianten, über Unterschiede zwischen Individuen, einzelnen Populationen und Arten bis hin zu Unterschieden zwischen verschiedenen Artengemeinschaften oder Ökosystemen (Verma, 2016).
Wie einzelne Unterschiede, beziehungsweise verschiedene Ebenen der Biodiversität, genau klassifiziert und eingeordnet werden, ist nicht ganz klar und wird in der Wissenschaft immer wieder diskutiert. Oft bestehen zum Beispiel unterschiedliche Ansichten darüber, welche Kriterien eine biologische Art überhaupt definieren (Carstens et al. 2013). So ging man früher klassischerweise davon aus, dass sich zwei Arten untereinander nicht fortpflanzen können. Heute spricht man hingegen von zwei Arten, wenn zwei unterschiedliche Gruppen am selben Ort nebeneinander existieren, ohne sich miteinander zu vermischen – obwohl sie sich grundsätzlich fortpflanzen und Hybriden bilden könnten.
Hybriden zwischen zwei Arten haben unter natürlichen Bedingungen oft eine tiefere biologische Fitness; also eine tiefere Überlebensrate und weniger Nachkommen. Daraus ergibt sich eine natürliche Auslese gegen Hybriden, die die Elternarten begünstigt (Coyne & Orr 2004). Ein Beispiel dafür sind die endemischen – also nur in einem See (bzw. zusammenhängenden Seen) vorkommenden – Schweizer Felchenarten: Obwohl sich Albeli und Balchen des Vierwaldstättersees miteinander kreuzen können (beispielsweise im Labor aber auch während dem Abstreifen von Laichtieren aus dem Laichfischfang für den späteren Besatz), vermischen sie sich in der Natur nicht und koexistieren im See als eigenständige Arten.
Für eine nachhaltige Fischerei und gesunde Fischbestände ist die biologische Vielfalt auf verschiedenen Ebenen von entscheidender Bedeutung. Innerhalb von Fischarten gibt es oft einzelne Untergruppen, auch Populationen genannt. Diese Populationen können sich, obwohl sie zur gleichen Art gehören, in ihrem Aussehen und Verhalten unterscheiden. Bei Atlantischen Forellen kamen wissenschaftliche Untersuchungen zum Beispiel zum Schluss, dass sie über das Potential zur lokalen Anpassung an vorherrschende Temperaturbedingungen verfügen. Unterschiedliche Forellenpopulationen sind also an die Temperaturbedingungen ihres Standorts angepasst (Jensen et al. 2020). Solche innerartlichen Unterschiede können wichtige Anpassungen an den Lebensraum darstellen. Eine optimal angepasste Fischpopulation kann sich erfolgreich fortpflanzen und viele Nachkommen produzieren und sichert somit starke Fischbestände auch für die Zukunft.
Auch Arten mit weiter Verbreitung können gefährdet sein
Im Forschungsprojekt «Progetto Fiumi», welches 324 Standorte in Schweizer Fliessgewässern untersucht hat, war die Atlantische Forelle, welche ursprünglich im Rheineinzugsgebiet einheimisch ist, die häufigste Art in Schweizer Flüssen und Bächen (Brodersen et al. 2023). Obwohl nicht alle Schweizer Fliessgewässer repräsentativ und randomisiert beprobt wurden, zeigen die Daten, dass Forellen in der Schweiz sehr weit verbreitet sind. Allerdings haben die Bestandsdichten und auch die Fischereierträge der Forelle in den meisten Gewässern über die letzten Jahrzehnte stark abgenommen (Meili et al. 2004). In der Schweiz gibt es mehrere Forellenarten und alle gelten als gefährdet – je nach Art reicht die Einstufung von potenziell bis stark gefährdet. Die Zebraforelle, welche im Rhone-Einzugsgebiet vorkommt, ist stark gefährdet. Die Adriatische Forelle, die Donauforelle und die Marmorataforelle sind sogar vom Aussterben bedroht. Insbesondere diejenigen Forellenarten, welche vom Aussterben bedroht sind, wurden in der Vergangenheit durch Fischbesatz in vielen Fällen mit anderen Arten (insbesondere mit der atlantischen Forelle) vermischt oder ersetzt.
Die stark bedrohte Äsche ist ein typischer Bewohner der grösseren Flüsse in der Schweiz. Sie war ursprünglich, wie die Forelle, ein weit verbreiteter Fisch. Bei der Äsche geht aus diversen Studien hervor (z.B. Vonlanthen et al. 2010 oder Vonlanthen & Schlunke 2005), dass sich die einzelnen Äschenbestände oftmals zwischen verschiedenen Flüssen oder sogar innerhalb eines einzelnen Flusses genetisch voneinander unterscheiden. Über die letzten Jahrzehnte gingen mehrere Äschenpopulationen in der Schweiz verloren. Die Gründe dafür sind menschengemacht: Durch hohe Wassertemperaturen, schlechte Wasserqualität und die Verbauung vieler Bach- und Flussläufe sind Gewässerlebensräume vielfach negativ beeinflusst. Es braucht deshalb verschiedene Anstrengungen, um die Umweltbedingungen zugunsten der Fische wieder positiv zu beeinflussen.
Je mehr Vielfalt desto besser?
Viele Arten und eine dementsprechend hohe Artenvielfalt bedeuten nicht zwangsläufig auch einen möglichst naturnahen Zustand. Nicht in jedem Gewässer oder an jedem Standort kommen naturgemäss viele Fischarten vor. Insbesondere extreme Umweltbedingungen bieten nur wenigen Arten Lebensraum, so zum Beispiel ein Bach mit grossem Gefälle, starker Strömung und sehr kaltem Wasser. Hier kommen in der Regel nur wenige Spezialisten wie die Bachforelle oder die Groppe vor. Wird solch ein naturnahes Fliessgewässer gestaut, erhöht sich oftmals die Artenzahl, da sich die Bedingungen für andere Arten verbessern. Dies ist aber kein positives Zeichen: Arten, die langsam fliessende oder stehende Gewässer bevölkern, wandern ein und die standorttypische Fauna verliert an Lebensraum.
Um Veränderungen in der Fischartenvielfalt eines Gewässers dokumentieren zu können, ist es wichtig, Daten zum Vorkommen und zur Häufigkeit von Fischarten zu erheben. Nur so lassen sich Veränderungen feststellen und in der Zukunft Rückschlüsse ziehen. In der Vergangenheit fehlten solche Daten grösstenteils. Über die letzten Jahre wurden die Fischartenzusammensetzungen sämtlicher Schweizer Alpenrandseen systematisch innerhalb des Eawag-Projekts Projet Lac erhoben (Alexander & Seehausen 2021). Ebenfalls wurde die Fischartenvielfalt in vielen kleineren und grösseren Schweizer Fliessgewässern im Eawag-Projekt «Progetto Fiumi» erfasst (Brodersen et al. 2023). Werden solche systematischen Erhebungen über die Zeit mehrmals wiederholt, lassen sich Veränderungen in der Artenzusammensetzung in den Gewässern und der Häufigkeit einzelner Fischarten feststellen. Solche flächendeckenden und standardisierten Erhebungen ermöglichen Rückvergleiche, um geeignete und effiziente Massnahmen zur Förderung der Fischartenvielfalt zu treffen.
Vernetzung der Schweizer Fliessgewässer als Beispiel für zukünftige Forschungsschwerpunkte
Trotz der grossen, wissenschaftlichen Anstrengungen wissen wir heute längst nicht alles über die Biodiversität der Schweizer Fische. Zum Beispiel unterscheiden sich Fischarten nicht nur in ihrem Aussehen, sondern auch in ihrem Verhalten. Viele Fischarten machen längere oder kürzere Wanderungen, zum Beispiel zum Laichen oder um gute Fress- oder Winterhabitate zu erreichen. Über diese Wanderungen sind Populationen in verschiedenen Gewässerabschnitten oder auch in verschiedenen Gewässern miteinander vernetzt und stehen in ständigem Austausch. Für diverse Fischarten wie die Nase kennen wir die Wanderungsmuster, die Wanderdistanzen und die Vernetzung von verschiedenen Populationen noch nicht. Viele dieser Wanderbewegungen werden durch menschliche Einflüsse verunmöglicht oder erschwert zum Beispiel durch Staudämme, Wasserkraftnutzung oder Verbauungen zugunsten des Hochwasserschutzes. Diese Isolierung verhindert beispielsweise den genetischen Austausch zwischen Populationen und kann diese schwächen, da die genetische Vielfalt verringert wird. Obwohl unerlässlich für den Fortbestand der Arten, sind diese Zusammenhänge heute noch nicht ausreichend erforscht. Zukünftige Forschungsprojekte sollen auch diese Lücken füllen. So werden für ein weiteres Projekt der Eawag in den nächsten Jahren in den grossen Schweizer Flüssen diverse Fischarten mit Sendern ausgestattet, um ihre Wanderbewegungen verfolgen zu können. Je mehr Wissen über alle Organismen, Populationen und Arten eines Gewässers besteht, umso besser kann die Fischartenvielfalt und ihre nachhaltige Nutzung auch in der Zukunft sichergestellt werden.
Autoren
Andrin Krähenbühl und David Frei repräsentieren aktuell die Geschäftsstelle der FIBER. Beide sind Biologen mit Schwerpunkt Fischökologie und Evolution und zudem begeisterte Fischer.
Andrin Krähenbühl
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David Frei
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