Bild: © Lou Goetzmann / Aqua Viva
Sackgasse Wasserkraftwerk
Sackgasse Wasserkraftwerk
Zahlreiche Wasserkraftwerke verhindern in der Schweiz die freie Fischwanderung und werden zum Problem für die Artenvielfalt in unseren Gewässern. Besonders Wanderfische wie Aal, Lachs und Nase leiden. Ihre Bestände sind in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen – im Falle des Rheinlaches bis hin zum Aussterben. Aqua Viva kämpft für freie, vernetzte Gewässer und den Erhalt unserer Wanderfische. Bei der Sanierung von Wasserkraftwerken schauen wir deshalb genau hin und machen den Weg frei für Lachs, Aal, Nase und Co.
von Esther Leitgeb
«Die Schweiz hat enorm von der Wasserkraft profitiert – leider auf Kosten unserer Wanderfische und der Artenvielfalt im Gewässer. Die Anlagen nun fischgängig zu machen, ist das Mindeste, was wir der Natur zurückgeben können.»
Esther Leitgeb, Bereichsleiterin Gewässerschutz bei Aqua Viva
Ohne entsprechende Wanderhilfen versperren rund 1400 Wasserkraftwerke unseren Fischen den Weg (WWF 2016). Seit 2011 besteht daher der gesetzliche Auftrag, dass Kraftwerke bis 2030 fischgängig sein müssen. Aqua Viva begleitet diesen Prozess und war 2021 an 29 Sanierungsvorhaben beteiligt. Gemeinsam mit unseren Partner:innen und Vertreter:innen der Kantone und Wasserkraftbetreibenden engagieren wir uns in Begleitgruppen für ökologisch nachhaltige Lösungen. Oft dauern diese Prozesse mehrere Jahre und sind mit vielen Diskussionen über die technische Machbarkeit und Details von Fischwanderhilfen verbunden.
Wanderfische in der Schweiz
Im weltweiten Durchschnitt sind seit 1970 die Populationen der Süsswasserarten um 81 Prozent zurückgegangen (WWF*). In der Schweiz stehen rund die Hälfte der Fliessgewässerarten auf der Roten Liste. Bei den Fischen sind es sogar 60 Prozent (ebd.). Eine der Hauptursachen sind Querbauwerke im Fluss. Dies gilt insbesondere für Wasserkraftwerke. Ohne Wanderhilfen können Fische diese häufig nur verletzt, tot oder gar nicht überwinden.
Zu den sportlichsten Wanderfischen gehören Aal und Lachs. Sie legen mehrere Tausend Kilometer zurück, um ihre Laichgründe zu erreichen. Der Lachs gilt in der Schweiz seit den 1950er Jahren als ausgestorben und auch der Aal-Bestand geht stetig zurück. Seit 2021 gilt der Aal als «vom Aussterben bedroht». Trotz seiner schmalen Körperform und Agilität verenden jährlich unzählige Aale im Hochrhein bei ihrer Wanderung vom Bodensee ins Meer. An den Kraftwerken versuchen sie über die Turbinen abzusteigen und setzten sich damit einer tödlichen Gefahr aus.
Gerade einmal 650 Meter beträgt die durchschnittliche, frei durchwanderbare Strecke in den Schweizer Fliessgewässern. Die Probleme von Lachs und Aal stehen somit symptomatisch für unsere stark fragmentierten Gewässer. Denn nicht nur sie, sämtliche Fischarten bewegen sich stetig im Lebensraum Fluss: zur Nahrungssuche, Fortpflanzung sowie zum Schutz vor Fressfeinden oder hohen Wassertemperaturen. Sie sind auf einen vielfältigen Lebensraum angewiesen, der ihren wandelnden Bedürfnissen nachkommt. Ein nicht fischgängiges Wasserkraftwerk kann eine ganze Population von ihren Laichgründen und Kinderstuben abkapseln. Können die Fische nicht auf alternative Lebensräume ausweichen, verringert sich der Bestand und kann schlimmstenfalls sogar kollabieren.
Ringen um jedes Kraftwerk
Obwohl diese Probleme hinlänglich bekannt sind und das Gewässerschutzgesetz klare Vorgaben macht, gibt es noch zu viele Wasserkraftwerke in der Schweiz, die für unsere Fische eine Sackgasse bilden. Damit Fische wieder wandern können, ringt Aqua Viva um jede Anlage.
Im Falle des Kraftwerks Birsfelden (BS) geht es dabei um nichts weniger als die mögliche Rückkehr des Lachses in die Schweizer Gewässer. Es ist das erste Kraftwerk am Rhein, das Wanderfischen auf ihrem Weg in die Schweiz begegnet. Zwar gibt es eine bestehende Wanderhilfe, diese weist aber erhebliche Mängel auf. Vor allem bodenwandernde Fische finden den Einstieg, wenn überhaupt nur unter grosser Kraftanstrengung. Aqua Viva engagiert sich daher für den Bau einer zweiten Fischwanderhilfe mit grossen Becken, genügend Lockströmung und mehreren Einstiegen. Auf diese Weise können alle Fische das Kraftwerk überwinden und selbst grosse Fische wie der Lachs aufsteigen.
Auch am Wasserkraftwerk Sarneraa (OW) muss die bestehende Fischwanderhilfe saniert und eine Lösung für den Fischabstieg gefunden werden. Enge Platzverhältnisse erschweren jedoch die Planung. Ein innovativer Mäanderfischpass wird von Kanton und Bund gestützt. Dieses System verspricht eine hohe Funktionalität, ist in der Schweiz aber noch wenig erprobt. Ein ausführliches Monitoring soll nach dem Bau des Passes weitere Erkenntnisse liefern. Wir begrüssen dieses Pilotprojekt, das aktuell vom Kanton geprüft und wohl bald genehmigt wird – ein grosser Erfolg für den Tierschutz!
Leider gibt es in der Schweiz auch noch Kraftwerke ganz ohne Wanderhilfen, wie das Kraftwerk Gebenstorf (AG). Es liegt kurz vor dem Zusammenfluss der Limmat und der Aare und ist ein wichtiger Knotenpunkt für den Aufstieg in die Limmat. Aqua Viva fordert, dass auch dieses Kraftwerk endlich fischgängig wird und beteiligt sich am Variantenstudium. Wir fordern, dass auch hier die mögliche Rückkehr des Lachses berücksichtigt und der Fischaufstieg für Ansprüche grösserer Fische dimensioniert wird.
Das Ringen um die Sanierung unserer Wasserkraftwerke ist oftmals langwierig und vielerorts geht es nur langsam oder gar nicht voran. Laut den aktuellsten Zahlen des BAFU wurden bis 2018 lediglich 1,7 Prozent der sanierungspflichtigen Anlangen fischgängig gemacht. Doch es gibt auch gute Nachrichten: 2021 wurden Gelder genehmigt, um die letzten nicht fischgängigen französischen Kraftwerke am Rhein zu sanieren. Damit wäre die Durchgängigkeit des Rheins bis in die Schweiz wiederhergestellt. Auch der Lachs könnte wieder bis nach Basel schwimmen und seinen einstigen Laichgründen ein gutes Stück näher kommen. Schafft es die Schweiz bis dahin die Wege für den Lachs freizumachen? Wir arbeiten dran!
Dönni, W., Spalinger, L., Knutti, A. 2016: Die Rückkehr des Lachses in der Schweiz – Potential und Perspektiven. Auslegeordnung. Studie im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt, S.55.
Rote Liste des BAFU im Sinne von Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung vom 16. Januar 1991 über den Natur- und Heimatschutz (NHV; SR 451.1) www.admin.ch/ch/d/sr/45.html.
WWF (2016): Wie gesund sind unsere Gewässer? Zustand und Schutzwürdigkeit der Schweizer Fliessgewässer. Seite 5.
WWF*: Unsere Gewässerperlen. Wo sich die wertvollsten und natürlichsten Fliessgewässer der Schweiz befinden. – und wie wir sie besser schützen. Seite 3.