Verbandsbeschwerderecht: Fakten und Mythen
Im Kontext der Energiewende wird auch über Einschränkungen des Verbandsbeschwerderechts gestritten. Doch die geäusserte Kritik fusst mehr auf Mythen als auf Zahlen und Fakten. Letztere belegen: Die Umweltschutzorganisationen nutzen das Verbandsbeschwerderecht äusserst zurückhaltend und mit Erfolg. Aqua Viva möchte mit einem Themenheft die Debatte wieder auf gesicherte Grundlagen stellen.
«Durch die Einschränkung des Verbandsbeschwerderechts würden wir die Energiewende nicht beschleunigen. Es wäre vielmehr eine Aufforderung zur Nicht-Einhaltung der Gesetze und würde den ohnehin zögerlichen oder mangelhaften Vollzug im Umweltrecht weiter behindern», sagt Salome Steiner Geschäftsleiterin von Aqua Viva.
Zwischen 2019 und 2023 hat das Bundesgericht jährlich durchschnittlich 7359 Beschwerden beurteilt. Lediglich elf stammten im Schnitt von Umweltschutzorganisationen. Vergleichbare Zahlen gelten auch für das Bundesverwaltungsgericht. Nur ein verschwindend geringer Anteil der Beschwerden geht also auf die Umweltschutzorganisationen und das Verbandsbeschwerderecht zurück.
Noch seltener kommt es von Seiten der Umweltschutzorganisationen zu Beschwerden gegen Anlagen zur Stromproduktion aus erneuerbaren Energien. Zwischen 2013 und 2022 gab es lediglich 54 solcher Beschwerden, obwohl im gleichen Zeitraum 30 Windenergieanlagen, 204 Wasserkraftanlagen und 155 000 Solaranlagen neu hinzugekommen sind.
Ein weiterer Mythos ist die Behauptung, Umweltschutzorganisationen könnten Energieanlagen oder andere Projekte verhindern. Ein Projekt stoppen können nur Gerichte und dies auch nur dann, wenn das geplante Vorhaben gegen das Gesetz verstösst. Die Umweltschutzorganisationen können mit Hilfe des Verbandsbeschwerderechts lediglich die Gerichte dazu auffordern, ein Projekt zu prüfen.
Und die Beschwerden der Umweltschutzorganisationen haben in dieser Hinsicht eine überdurchschnittlich hohe Legitimation. Zwischen 2012 und 2023 wurden 63 Prozent ihrer Beschwerden gutgeheissen, teilweise gutgeheissen oder mit Vereinbarung zurückgezogen. Ohne sie wären nicht gesetzeskonforme Projekte einfach bewilligt worden, weil die Natur selbst nicht vor Gericht ziehen kann.
Mit einem Themenheft macht Aqua Viva auf den Wert des bewährten Rechtsinstruments als «Stimme der Natur» aufmerksam und präsentiert aktuelle Zahlen und Beispiele zum zurückhaltenden und wirkungsvollen Einsatz des Verbandsbeschwerderechts durch die Umweltschutzorganisationen.
Themenbereich
Stimme der Natur
Das Verbandsbeschwerderecht (VBR) ermöglicht Umweltschutzorganisationen, der Natur eine Stimme zu geben. Wir machen auf den Wert des VBR aufmerksam und zeigen, wie das Instrument angewendet wird.