Bild: © tauav - stock.adobe.com
Mantelerlass: Energiewende auf Kosten der Natur
Mit dem Mantelerlass will das Parlament die Energiewende vorantreiben. Gut so! Dies darf jedoch nicht auf Kosten unserer Gewässer passieren. Genau dies ist jedoch zu befürchten. Für die zusätzliche Energieerzeugung sollen die letzten intakten Flüsse, Auen und Gletschervorfelder der Schweiz geopfert werden. Gleich mehrere der diskutierten Massnahmen wären für sie mit enormen ökologischen Schäden verbunden, ohne dass wir im Gegenzug die Energiewende entscheidend voranbringen.
«Aqua Viva kämpft für eine ökologisch verträgliche Energiewende und sagt «Nein» zu den aktuell diskutierten, ökologisch verheerenden Massnahmen zum Mantelerlass!»
Salome Steiner, Geschäftsleiterin Aqua Viva
Mit dem sogenannten «Energie-Mantelerlass» (Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien) will das Parlament das Energie- und das Stromversorgungsgesetz erneuern: Konkrete Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie Massnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Senkung des Energieverbrauchs sollen eine sichere Energieversorgung gewährleisten und den Schweizer CO2-Ausstoss reduzieren.
In drei Punkten, welche die Wasserkraft beziehungsweise den Schutz der Gewässer betreffen, schiessen die diskutierten Vorschläge jedoch über das Ziel hinaus. Diese betreffen die Absenkung der gesetzlichen Restwassermengen, die Aufweichung des Biotopschutzes sowie die gesetzliche Festschreibung von 15 Wasserkraftprojekten.
Aqua Viva fordert:
Eine Aufweichung (oder Sistierung) der geltenden Restwasserbestimmungen hätte bei verhältnismässig kleinem Gewinn an Stromproduktion katastrophale Auswirkungen auf die Gewässer und wäre international ein verantwortungsloses Signal der Schweiz.
Seit 1976 ist die Sicherstellung von angemessenen Restwasserbestimmungen Bestandteil der Schweizer Verfassung. Erst 1992 wurde allerdings definiert, welche Mindestmenge von Gesetzes wegen in unseren Flüssen verbleiben müssen. Obwohl es sich dabei aus ökologischer Sicht um das absolute Minimum handelt, wurden die Bestimmungen bis heute nicht vollständig umgesetzt. Trotzdem hat der Bundesrat am 30. September 2002 entschieden, dass rund 45 Wasserkraftwerke ihre Restwassermengen zwischen dem 1. Oktober 2022 und dem 30. April 2023 reduzieren dürfen.
Das Festschreiben von Einzelprojekten in ein Gesetz ist verfassungswidrig und wirft viele Fragen auf, die zeitraubend (unter anderem von Gerichten) geklärt werden müssen. Ausserdem ist die Methodik, welche zur Liste mit den 15 Wasserkraftwerke geführt hat, mit grossen Fehlern behaftet.
Der Runde Tisch Wasserkraft hat sich 2021 unter der Leitung von Bundesrätin a.D. Simonetta Sommaruga und Beteiligung ihres Nachfolgers Albert Rösti auf den Neu- und Ausbau von 15 Wasserkraftwerken zur Erhöhung der Winterstromproduktion geeinigt. Diese Projekte sollen mit dem Mantelerlass nun im Energiegesetzt festgeschrieben werden.
Die Biotope von nationaler Bedeutung und die unbeschreibbar wertvollen Auenlandschaften sind die letzten Rückzugsorte unseres Tier- und Pflanzenreichtums. Auen bieten 84 Prozent all unserer Tier- und Pflanzenarten Lebensraum. Seit 1850 sind jedoch über 90 Prozent der Schweizer Auen verschwunden. Auch die Biotope von nationaler Bedeutung machen heute lediglich 2,3 Prozent der Schweizer Landesfläche aus.
In der Vorlage des Ständerats zum Mantelerlass soll der Bau von Energieanlagen in Biotopen von nationaler Bedeutung ermöglicht werden. Davon betroffen wären beispielsweise auch Auengebiete wie die Greina-Hochebene oder das Val Roseg.
Wir brauchen keine dieser Massnahmen! Um die Energiewende zu meistern, gilt es vielmehr die ungenutzten Potentiale bei der Solarenergie, der Energieffizienz sowie dem Energieverbrauch zu nutzen. Wie dies gelingen kann, zeigen Expert:innen aus Wissenschaft und Politik in unserem Themenbereich Energiewende und Gewässer.
Chronologie
- Der Mantelerlass wurde am 29. September 2022 bereits vom Ständerat verabschiedet.
→ Die wichtigsten Beschlüsse des Ständerats zum Energie-Mantelerlass vom 29. September 2022.
- Ab dem 23. Januar 2023 beschäftigt sich die UREK-N mit der Überarbeitung der Vorlage für die Abstimmung im Nationalrat.
→ Geschäft des Bundesrats (21.047)
Unsere Kritik im Detail
Flüsse brauchen Wasser
Zu kleine Wassermengen in Bächen und Flüssen können zum Todesstoss für gefährdete Arten wie Äsche oder Bachforelle werden. Bereits heute sichern wir nur minimale Überlebensmengen. Eine Unterschreitung würde irreparable Schäden nach sich ziehen.
Abschied vom Naturschutz?
Wo heute noch rund ein Drittel aller bedrohten Tier- und Pflanzenarten der Schweiz letzte Zufluchtsorte findet, könnten zukünftig Wasserkraftwerke und Solaranlagen stehen. Doch die letzten Rückzugsorte der Natur können nicht auch noch die Energieprobleme des Landes lösen.