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Energiewende und Gewässer
Die Wasserkraftnutzung in der Schweiz ist eine Geschichte des kontinuierlichen Wachstums. Allein in den letzten 15 Jahren wurden 364 Wasserkraftanlagen neu in Betrieb genommen. Ein Grossteil in nur wenig beeinträchtigten Gewässern, viele sogar in geschützten Gebieten. Das Potential ist erschöpft, Bäche und Flüsse leiden, doch der Druck nimmt weiter zu. Aqua Viva kämpft für den Erhalt der letzten intakten Gewässerlebensräume und fordert ein Umdenken in der Schweizer Energiepolitik.
«Der Preis für das unaufhörliche Wachstum der Wasserkraftnutzung ist der Verlust unserer natürlichen Gewässer und ihrer Artenvielfalt. Es ist an der Zeit, den ausgetretenen Pfad der Wasserkraft zu verlassen und das riesige, ökologisch nachhaltigere Potential alternativer Energieträger wie der Solarenergie zu nutzen.»
Salome Steiner, Geschäftsleiterin Aqua Viva
Vom oftmals beklagten Stillstand beim Ausbau der Wasserkraft kann keine Rede sein. Auch nach dem Wasserkraftboom bis in die Mitte der 1970er Jahre ist deren Produktionsleistung kontinuierlich gestiegen. Dank Subventionen und teilweise grosszügig ausgelegten Umweltvorschriften wurde und wird das verbliebene Potential systematisch ausgepresst.
Im Rahmen der Energiestrategie 2050 soll die Stromerzeugung aus Wasserkraft bis 2035 nun nochmals auf insgesamt 37,4 TWh steigen – bis 2050 sogar auf 38,6 TWh. Solche Dimensionen hält selbst das BFE für nicht realistisch. In einer Untersuchung aus dem Jahr 2019 geht es von einem maximalen Ausbaugrad von 36,9 TWh im Jahr 2050 aus. Dieser wäre heute bereits zu 99,5 Prozent erreicht.
Gewässer sind in der Folge die am stärksten bedrohten und beeinträchtigten Lebensräume der Schweiz. Heute gelten lediglich noch rund 5 Prozent unserer Fliessgewässer als mehr oder weniger intakt. Das ist zu wenig. Naturnahe Gewässerlebensräume müssen als ökologische Infrastruktur einen signifikanten Anteil der Landesfläche ausmachen.
Wir müssen die Energiewende schaffen, ohne dabei die Biodiversitätskrise weiter zu verschärfen. Hierzu gilt es, der finanziellen Bevorteilung der Wasserkraft ein Ende setzen und stattdessen konsequent in Energieeffizienz und den Ausbau der Solarenergie zu investieren. Es ist an der Zeit, den ausgetretenen Pfad der Wasserkraft zu verlassen und das riesige, ökologisch nachhaltigere Potential alternativer Energieträger wie der Solarenergie zu nutzen.
Energiewende: Mehr als nur Wasserkraft
Bäche stauen oder Dächer bebauen?
Die Energiewende in der Schweiz braucht mehr Schub. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien liegt das grosse Potential in der Solarenergie.
Den schlafenden Riesen wecken
Die Effizienzpotenziale sind riesig. Mit den richtigen Massnahmen könnten wir den heutigen Energiebedarf um mindestens ein Drittel verringern.
Die Frage nach dem richtigen Mass
Angesichts der planetaren Belastungsgrenzen können Energiewende und Erhalt unserer Lebensgrundlagen ohne Suffizienz nicht gelingen.
Aqua Viva vertritt eine starke Nachhaltigkeit und fordert:
Solange es optimierungsfähige Wasserkraftanlagen, Dächer ohne Photovoltaik und schlecht isolierte Gebäude gibt, darf kein unverbautes Gewässer mehr der Wasserkraft zum Opfer fallen.
In der Schweiz sind bereits 99,5 Prozent des Wasserkraftpotentials genutzt. Gewässer sind in der Folge die am stärksten bedrohten und beeinträchtigten Lebensräume. Heute gelten lediglich rund 5 Prozent unserer Fliessgewässer als mehr oder weniger intakt. Das ist zu wenig. Naturnahe Gewässerlebensräume müssen als ökologische Infrastruktur einen signifikanten Anteil der Landesfläche ausmachen. Dennoch fokussiert die Politik weiterhin auf den Ausbau der Wasserkraft statt brachliegende Potentiale bei Energieeffizienz und Solarstrom zu nutzen. Bei einem konsequenten Vorgehen könnten wir unseren heutigen Energieverbrauch um mindestens ein Drittel verringern. Ein noch grösseres Potential besteht bei der Solarenergie. Rund 67 TWh könnte die Schweiz produzieren. Der jährliche Strombedarf der Schweiz beträgt aktuell rund 60 TWh. Es ist Zeit, den alten und ausgetretenen Pfad Wasserkraft zu verlassen und neue, ökologisch nachhaltige Wege zu gehen!
Der Rückbau von Kleinstwasserkraftwerken zugunsten der Gewässerökologie ist dringend. Er ist ohne gesellschaftliche Nachteile möglich und setzt Fördermittel frei, die an anderer Stelle fehlen.
Aktuell gibt es in der Schweiz circa 1600 Wasserkraftwerke. Darunter rund 900 Kleinstwasserkraftwerke (<0,3 MW) mit einer jährlichen Stromproduktion von rund 300 GWh. 57 Prozent aller Wasserkraftanlagen produzieren damit zusammengerechnet weniger als 1 Prozent des Schweizer Wasserkraftstroms. Wie grössere Anlagen zerstückeln sie jedoch unsere Gewässer, verändern deren Dynamik und zerstören Lebensräume. Die Stromproduktion vieler Kleinstwasserkraftwerke schädigt die Biodiversität daher stärker als ein grosses Kraftwerk. Statt die unrentable Kleinstwasserkraft mit Fördermitteln weiterhin künstlich am Leben zu erhalten und sogar deren ökologische Sanierung zu finanzieren, sollte der Bund für einen konsequenten Rückbau sorgen und die günstigere Sonnenenergie fördern.
Bund, Kantone und Wasserkraftbetreiber müssen die gesetzlichen Vorgaben respektieren und die Sanierung der Wasserkraft vorantreiben.
Laut Gewässerschutzgesetz müssen Wasserkraftanlagen ökologisch saniert werden. Dies betrifft die Fischgängigkeit, den schädlichen Schwall-Sunk-Betrieb sowie die negativen Auswirkungen der Anlagen auf den Geschiebehaushalt. Die Planung der Massnahmen liegt bei den Kantonen, die Umsetzung mit Frist bis 2030 bei den Wasserkraftbetreibern. Letztere erhalten dafür sogar eine 100-prozentige Entschädigung. Dennoch gehen die Arbeiten schleppend voran. Laut den aktuellsten Zahlen des BAFUs wurden bislang weniger als drei Prozent der geplanten Sanierungs-Massnahmen umgesetzt. Auch beim Restwasser liegt nach wie vor vieles im Argen. Bereits 1975 forderte das Volk mit einer Verfassungsänderung, dass der Bund für angemessene Restwassermengen sorgen solle. 47 Jahre später und 10 Jahre nach Ablauf der letzten gesetzlichen Frist gibt es immer noch Wasserkraftwerke, die bis zu 99 Prozent des Flusswassers nutzen. Fazit: Bestehende Kraftwerke produzieren zu Lasten der Natur. Die Hausaufgaben sind nicht erledigt. Trotzdem werden neue Kraftwerke und neue Verbauungen der Gewässer geplant. Das ist die falsche Stossrichtung: Bund und Kantone müssen endlich dafür sorgen, dass die gesetzlichen Vorgaben umgesetzt, statt weiter verschleppt werden.
Der Bund muss der massiven finanziellen Bevorteilung der Wasserkraft endlich ein Ende setzen und stattdessen konsequent in Energieeffizienz und den Ausbau der Solarenergie investieren.
Mit Investitionsbeiträgen für den Neubau von Anlagen, der Einspeisevergütung sowie Marktprämien bietet der Bund den Betreibern von Wasserkraftanlagen eine grosszügige Unterstützung. 2018 summierten sich die Fördergelder auf insgesamt rund 460 Millionen Franken. Angesichts des bereits hohen Ausbaugrads der Wasserkraft sowie den daraus resultierenden ökologischen Schäden könnten diese Summen effizienter und nachhaltiger investiert werden. Fördermittel für bestehende Wasserkraftanlagen sollten an die Umsetzung der gesetzlichen Sanierungsvorgaben geknüpft, Gelder für die ineffiziente und ökologisch besonders schädliche Kleinstwasserkraft vollständig gestrichen und auf Unterstützung für den Neubau von Kleinwasserkraftwerken verzichtet werden. Stattdessen bietet sich eine Umwidmung zugunsten von Massnahmen zur Reduzierung des Energieverbrauchs sowie zum Ausbau der Solarenergie an.
Für eine ausgewogene Interessensabwägung braucht es eine realistische Aufstellung des ökologischen und gesellschaftlichen Werts intakter Gewässerlebensräume.
Während wir von nahezu jedem Gewässer das Potential zur Energiegewinnung kennen, tappten wir beim Thema Artenvielfalt häufig im Dunkeln – trotz globaler Biodiversitätskrise. Bei Entscheidungen über den Neubau von Wasserkraftanlagen führt dies häufig zu einer unsachgemässen Interessensabwägung. Und selbst wenn aktuelle Studien vorliegen, werden diese in den politischen und öffentlichen Diskussionen kaum berücksichtigt. Beispielweise wenn es um den Neubau von Speicherkraftwerken in den Alpen geht. 2020 ermittelte eine von Pro Natura in Auftrag gegebene Studie das ökologische Potential von Gletschervorfeldern. Zu den am höchsten eingeschätzten Gebieten zählen demnach jene um den Trift- und Gorner-Gletscher. Gerade hier sollen in den kommenden Jahren jedoch neue Stauseen entstehen. Oft gerät auch der gesellschaftliche Wert unserer Gewässer in Vergessenheit. Denn die positiven Effekte intakter Gewässer für Hochwasserschutz, Wasserqualität, Naherholung und Tourismus lassen sich nur schwer in Geld bemessen. Natürliche Gewässerlandschaften brauchen eine Ausscheidung und definierte Schutzdauer äquivalent zu den wirtschaftlich genutzten Gewässerlandschaften.
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