Bild: © Michel Roggo / roggo.ch
Seeforellen und ihre riskante Strategie
Seeforellen und ihre riskante Strategie
In vielen Schweizer Seen gibt es kleine bis grosse Bestände an Seeforellen. Aufgrund ihrer Grösse von teilweise mehr als einem Meter sind sie bei Fischer:innen sehr beliebt. Aber warum werden Seeforellen grösser als Bachforellen? Und wie sieht es mit der Vielfalt der Seeforellen aus? Fragen, welche nicht nur die Fischerei beschäftigen und die nicht leicht zu beantworten sind.
Von Dominique Stalder, Maja Bosnjakovic, Andrin Krähenbühl, David Frei und Jakob Brodersen
Forscher:innen haben zusammen mit den Behörden und der Angel- und Berufsfischerei in den letzten Jahren schweizweit in natürlichen Seen und deren Zuflüssen Proben von Seeforellen gesammelt, um solche und weitere Fragen zu beantworten. Die Auswertung dieser Daten ist aktuell in vollem Gange. Dieser Bericht gibt einen Überblick über erste Resultate.
Abstieg in den See
Das Leben aller Forellen beginnt im Fluss. Bach- und Seeforelle gehören entgegen vieler Annahmen zur selben Art: der Atlantischen Forelle oder wissenschaftlich Salmo trutta. Vergangene Studien haben gezeigt, dass sich die Nachkommen einer Seeforelle sowohl zu See- als auch zu Bachforellen entwickeln können. Die Wanderneigung ist allerdings zumindest teilweise vererbbar. Während Umweltfaktoren die Wanderung von Salmoniden auslösen, bestimmen die genetischen Grundlagen, wie tief die Reizschwelle für die Abwanderung in Richtung See beim einzelnen Individuum liegt (Ferguson et al. 2019). Nachkommen von Seeforellen steigen deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit in den See ab.
Darüber hinaus unterscheiden sich Bachund Seeforellen im Prinzip nur in ihrer Lebensstrategie. Ein Bach bietet zwar viele gute Versteckmöglichkeiten. Die Nahrungsressourcen und somit auch das Wachstum sind allerdings begrenzt. Wer schnell wachsen und gross werden will, der muss sich ein Habitat mit mehr Futter suchen. Dies ist die Strategie der Seeforelle. Durch ihren starken Gewichtszuwachs kann sie eine hohe Fruchtbarkeit erreichen. Der Preis dafür ist ein grosses Risiko, nicht bis zum Laichgeschäft zu überleben. Die Entscheidung wird mit der Abwanderung aus dem Ursprungsgewässer getroffen. Der Abstieg in den See beginnt für viele Forellen in der Regel im zweiten Lebensjahr mit einer Grösse von 10 bis 20 Zentimeter. Ein Grossteil der wandernden Forellen verlässt den Geburtsbach im Frühling, um Richtung See zu schwimmen. Nicht in jedem Bach funktioniert die Abwanderung genau gleich. Während sie in einigen Bächen schon im März in vollem Gange ist, hält die Abwanderung in anderen Gewässern bis im Juni an (Dermond et al. 2019). Auch der Anteil der abwandernden Fische ist nicht in jedem Zufluss gleich. So steigen in einzelnen Bächen praktisch keine Jungforellen ab, in anderen Bächen sind es weit mehr als die Hälfte. Hinzu kommt auch noch eine geschlechtsspezifische Komponente: Weibliche Forellen profitieren stärker von einem hohen Körpergewicht als Männchen und haben daher generell eine höhere Wahrscheinlichkeit abzuwandern (Lavender et al. 2023).
Nahrung und Wachstum
Im See gibt es von Frühjahr bis Herbst viel Nahrung und die Forellen wachsen schneller als ihre Artgenossen im Bach. Während eine Forelle im Bach selten grösser als 50 Zentimeter wird, erreichen die meisten überlebenden Seeforellen diese Länge bereits im 4. Lebensjahr.
Die Nahrung von Seeforellen variiert zwischen den verschiedenen Seen. Im Vierwaldstätter-, Thuner- und Brienzersee fressen kleinere Seeforellen beispielswiese vor allem Wasserinsekten. Erst ab einer bestimmten Grösse gehen sie dazu über, hauptsächlich andere Fische zu fressen. Im Gegensatz dazu kann man zum Beispiel im Zuger-, Zürich- oder Neuenburgersee beobachten, dass fast alle Seeforellen andere Fische fressen unabhängig von ihrer Grösse. Ein Erklärungsansatz könnte sein, dass diese Unterschiede mit der Grössenverteilung der Beutefische zusammenhängen. Im Zuger-, Zürich- und Neuenburgersee findet man viele kleine Fische wie etwa Egli in den oberen Wasserschichten, welche die Seeforellen gerne in grossen Mengen fressen. Die Beutefische im Vierwaldstätter-, Thunerund Brienzersee hingegen sind oft grössere Fische, wie etwa Felchen (Abb. 1).
Rückkehr zum Ursprungsgewässer
Ähnlich wie Lachse wollen auch Seeforellen zum Laichen zu dem Bach zurückkehren, in dem sie selbst aus dem Ei geschlüpft sind. Wenn eine Seeforelle ihren Laichgrund erreicht, zahlt sich ihre riskante Strategie aus. Seeforellen produzieren meist grosse und tiefe Laichgruben mit teils über 10 000 Eiern. Die Laichgruben und oftmals auch die Laichtiere selbst können im Winter mit etwas Glück beobachtet werden und sind äusserst imposant. Die allermeisten abgewanderten Forellen erreichen ihre Laichgründe allerdings nie. Weniger als zehn Prozent der absteigenden Fische kehren irgendwann in ihr Ursprungsgewässer zurück.
Die Risiken im Leben einer jungen Forelle sind gross. Bereits der Abstieg in den See ist riskant. Im See lauern dann Räuber wie Fische, Vögel aber auch Netze und Angelköder. Forellen, die früher im Jahr absteigen und länger im See bleiben, haben eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit. Dafür verbringen die frühen Absteiger mehr Zeit im See, wo die Nahrung reichhaltig ist. Sie sind bei ihrer Rückkehr grösser und haben so einen Vorteil bei der Fortpflanzung gegenüber den kleineren Rückkehrern, die später abgestiegen sind. Ebenfalls konnte gezeigt werden, dass Besatzfische eine deutlich geringere Rückkehrrate und somit kleinere Überlebenschancen bis zum fortpflanzungsfähigen Alter haben.
In der Körpergrösse der Rückkehrer gibt es grosse Unterschiede zwischen verschiedenen Seen und verschiedenen Zuflüssen desselben Sees, obwohl die Fische hierbei im gleichen Habitat aufwachsen. Während einige Fische bereits nach dem ersten Sommer zum Ablaichen erscheinen, bleiben die meisten noch ein Jahr länger im See. Im Extremfall kann eine Seeforelle auch erst nach 4,5 Jahren im See zurückkehren zum Laichen (Abb. 2).
Genetische Strukturierung in den Seen
Da Seeforellen immer wieder in ihr Ursprungsgewässer zurückkehren, können sich zwischen den Forellenpopulationen der verschiedenen Zuflüsse genetische Unterschiede ausprägen. Diese Unterschiede könnten potenziell Anpassungen an das Ursprungsgewässer darstellen. Zugleich kann Vielfalt innerhalb einer Art wichtig sein für die Anpassungsfähigkeit dieser Art (z.B. Pauls et al. 2013). Eine ideale Anpassung an den Lebensraum ist etwas, was sich mit der Zeit verändern kann. Wenn sich beispielsweise die Umweltbedingungen ändern, können neue Merkmalsausprägungen beim Körperbau (z.B kürzere oder längere Kiefer) oder beim Verhalten (z.B. frühe oder späte Laichzeiten) auf einmal einen Vorteil darstellen. Wenn mehr Variabilität innerhalb einer Art oder Population vorhanden ist, erhöht dies die Chancen, dass zukünftig vorteilhafte Merkmalskombinationen vorkommen. Bis heute gibt es keine Untersuchungen an Seeforellen, welche konkret aufzeigen, ob genetische Unterschiede zwischen Populationen aufgrund gewisser Anpassungen vorhanden sind. Die aktuellen Untersuchungen beschränken sich auf das Erfassen der Populations- strukturen. Es kann zurzeit lediglich gesagt werden, dass mehrere Seen solche genetisch unterschiedlichen Populationen aufweisen. Hier zum Beispiel beim Hallwilersee, wo sich die Forellen zwischen den verschiedenen Zuflüssen genetisch unterscheiden (Abb. 3)
Schlussfolgerungen für eine nachhaltige Fischerei
Insbesondere bei Bächen, in die fast alle Seeforellen erst in höherem Alter zum Laichen zurückkehren, scheinen bestehende Fangmindestmasse in der Schweiz vielerorts zu klein angesetzt. Die Grundidee eines Fangmindestmasses ist sicherzustellen, dass jeder Fisch mindestens einmal am Laichgeschäft teilnehmen kann. Hohe Fangmindestmasse können in der Praxis allerdings problematisch werden, wenn viele Fische gefangen werden, die das Fangmindestmass nicht erreichen, aber nach dem Fang nicht überlebensfähig sind.
Der Befischungsdruck in der Angelfischerei wird Stand heute in den meisten Kantonen nicht standardmässig erfasst und kann höchstens abgeschätzt werden. Wie sich der Klimawandel, die Zustände der Laichgewässer oder die Befischung auf die Seeforellenbestände auswirken, ist ebenfalls schwer zu beurteilen.
Für viele Seeforellengewässer kann zudem der Laichtierbestand nur erahnt werden. Ohne solche Daten ist ein angepasstes und nachhaltiges Fischereimanagement jedoch schwierig. Mit Hilfe von Laichgrubenkartierungen, Reusen- und Elektrobefischungen sowie mit Kameramonitorings kann dem in Zukunft entgegengewirkt und die Anzahl der Laichtiere abgeschätzt werden.
Schützenswert erscheinen bei den Seeforellen sowohl grosse Populationen, da diese viel zum Fischbestand im See beitragen, als auch kleine Seeforellenpopulationen, deren Erhalt wichtig sein kann für die Vielfalt innerhalb der Art. Wo Seeforellenbestände in den Zuflüssen besser geschützt werden sollen, bieten sich Fangfenster oder die Ausweitung der Schonzeiten an, um früh aufsteigende Laichtiere oder späte Absteiger im Frühjahr zu schützen.
Mit einem nachhaltigen Fischereimanagement können wir uns hoffentlich auch in Zukunft weiterhin über grosse, beeindruckende Seeforellensichtungen freuen.
Autorin
Dominique Stalder
ist Biologin und arbeitet aktuell als Doktorandin an der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs. In ihrer Arbeit untersucht sie die Seeforellenpopulationen der Schweizer Seen und ihre Unterschiede und Besonderheiten
Dominique Stalder
Eawag
Seestrasse 79, 6047 Kastanienbaum
dominique.stalder@eawag.ch